DEZEMBER 2008
Datum: 08.12.2008
Es gibt Neuigkeiten… es sieht so aus, als sei der Tumor durch die Bestrahlungen kleiner geworden und vielleicht sogar ganz abgestorben. Das ist die gute Nachricht.
Die weniger gute Nachricht ist, dass der Tumor sich - wohl durch diese Behandlung - ziemlich tief in das umliegende Gewebe "eingefressen" hat. Das erschwert natürlich die OP und erhöht das Risiko, dass dabei andere Hirnregionen (= Körperfunktionen!) beschädigt werden. Die Alternative wäre eine Chemotherapie.
Unser Arzt hat sich entschieden, die OP zu versuchen, sie findet am kommenden Mittwoch statt. Er meint, wahrscheinlich würde er erst während der OP ganz genau sehen können, ob er den Tumor komplett entfernen kann - und dann ad hoc die Entscheidung treffen müssen, ob er das Risiko, andere Teile des Hirns zu verletzen, eingehen will. Er ist ein sehr erfahrener Arzt - wir vertrauen ihm, dass er das Richtige tut.
Weihnachten in Deutschland haben wir inzwischen für dieses Jahr abgehakt. Selbst wenn Chris nach der OP schnell wieder fit sein sollte, ist uns das Risiko zu hoch - wir bleiben lieber hier, wo wir notfalls schnell bei unseren Ärzten sind. So werden wir Weihnachten also entweder hier in der Klinik oder in unserer Wohnung mit Ben und Eric feiern. Es ist schon ok so... dann sitzen wir halt nächstes Jahr wieder bei Jana und reden darüber, wie schlimm es vor einem Jahr war. Hauptsache, Chris wird wieder gesund!
Ich sehe das Bild von den beiden alten Männern auf ihrer Terrasse immer noch vor mir und glaube ganz fest daran! Und ich versuche, Chris soviel Zuversicht und Optimismus zu vermitteln wie möglich. Wir werden das gemeinsam schaffen!!!
Datum: 10.12.2008
Heute wird es also ernst. Und ich konnte - wen wundert es? - die ganze Nacht nicht schlafen… *seufz*
Ich habe dem Professor jede Menge Fragen zu dem Tumor gestellt. Warum kann er nicht einfach drin bleiben, wenn er abgestorben ist? (Weil man eben von außen nicht genau sagen kann, ob er völlig abgestorben ist und nicht doch wieder "aufleben" oder streuen kann und er außerdem auch in der jetzigen Größe noch Beschwerden verursacht). Warum kann man ihn nicht einfach noch weiter bestrahlen? (Weil er sich dadurch nicht in Luft auflösen, sondern seine jetzige Größe in etwa beibehalten und weiterhin Beschwerden verursachen würde). Ich hab ihn wirklich ausgiebig "gelöchert", aber er ist sehr nett und erklärt es notfalls auch zehnmal.
Ich hab mich über diesen Mann sowieso schon mehrmals gewundert. So hat er mich bei unserer Ankunft hier, während Chris die ersten Untersuchungen hatte, zu sich kommen lassen und mich händeschüttelnd mit "Hi Danny - I'm Drew!" begrüßt. Statt zurück zu grüßen, hab ich ihn daraufhin ganz blöd gefragt, ob ich ihn etwa so nennen soll *g*… ja, das soll ich machen. Wir sind jetzt nämlich ein Team, hat er mir erklärt - ich bin dafür zuständig, Chris immer wieder aufzubauen und ihm Hoffnung, Zuversicht und Optimismus zu vermitteln, während er (der Professor) umgekehrt für mich Ansprechpartner für alle Fragen und Ängste ist, damit ich davon nichts bei Chris ablade. Schließlich sei die Psyche doch gerade bei Krebs so wichtig, deshalb müsse ich Chris gegenüber immer positiv sein.
Weiter hat er dann bei diesem Begrüßungsgespräch gesagt, er ginge ja davon aus, dass ich in der kommenden Zeit bei meinem Freund bleiben wolle, und deshalb seien unsere Zimmer schon gerichtet - und ich hab wieder blöd geguckt und "ähem - ich hab mir ein Zimmer unten im Ort im Hotel reserviert" gesagt. Daraufhin von ihm eine kurze Anweisung an sein Vorzimmer, sie sollen das Hotelzimmer bitte mit einem schönen Gruß von ihm wieder stornieren - ich sei Angehöriger eines Patienten und werde selbstverständlich hier in der Klinik mit untergebracht *staun*. Sowas hab ich noch nie gehört... sie haben hier wirklich einen Gebäudetrakt mit Zimmern für die Angehörigen! Und bis zur OP konnte Chris mit mir da wohnen und schlafen, nur jetzt kommt er natürlich auf die reguläre Station. Und Gladys (ja, die ist inzwischen auch hier) ist ebenfalls hier untergebracht, ein paar Zimmer weiter von uns.
Und schließlich ließ Drew (*smile*) dann bei dem Begrüßungsgespräch noch eine Rebekka zu uns kommen - das ist eine Deutsche, die in der Klinik hier als Krankenschwester arbeitet. Er meinte, mein Englisch sei zwar gut, aber gerade bei den medizinischen Fachbegriffen würde es mir bestimmt helfen, manchmal etwas in meiner Muttersprache erklärt zu bekommen, deshalb solle ich mich dann immer an sie wenden. Finde ich echt nett!
Und die Rebekka ist auch eine Nette… 28, wollte eigentlich nur ein Auslandspraktikum hier machen, hat sich dann aber in einen der Ärzte verliebt und ist hier geblieben. Und ihr Freund ist jetzt im Rahmen von "Ärzte ohne Grenzen" in Afghanistan, voraussichtlich bis Mitte oder Ende Februar - das heißt, das Mädel hat dieses Jahr auch keine schöne Weihnacht. Sie hat nur den einen Wunsch, dass ihr Freund lebend und unversehrt wieder zurückkommt, und ich hab auch nur den Wunsch, dass Chris alles gut übersteht… insofern können wir uns gegenseitig ein bisschen Mut machen und aufbauen. Sie hält übrigens große Stücke auf ihren Chef und ist überzeugt, dass, wenn überhaupt einer so eine OP hinkriegt, er das ist. Das gibt Hoffnung!
Datum: 12.12.2008
Die Operation war ziemlich schwer und hat lange gedauert, und seitdem liegt Chris in einer Art künstlichem Koma. Alles, was ich bisher sagen kann, ist, dass der Doc den Tumor komplett entfernen konnte - aber da das Ding sich sehr tief ins umliegende Gewebe eingegraben hatte, musste er auch sehr tief schneiden.
Genaueres wissen wir erst, wenn Chris wieder wach wird…
Datum: 14.12.2008
Wie fange ich an?
Also erst mal: Chris hat die OP soweit gut überstanden. Er hat zwei Tage in diesem künstlichen Koma gelegen und ist dann von allein wieder wach geworden. Und der Professor konnte den Tumor bei der OP wirklich vollständig entfernen, außerdem hält er es für äußerst unwahrscheinlich, dass das Ding bereits gestreut hat, auch wenn die entsprechenden Untersuchungsergebnisse noch ausstehen. Soweit die guten Nachrichten.
Allerdings gab es einen schlimmen Schock, als Chris wieder wach wurde. Ich war gerade bei ihm, als er zu sich kam. Er war auch gleich wieder ganz klar, sprach mich sofort an und fragte, ob er jetzt alles hinter sich habe. Aber irgendwie hat er mich dabei so ganz seltsam angesehen. Und dann bat er mich, doch mal das Licht anzumachen, damit er mich sehen könne. Aber draußen schien die Sonne, es war taghell im Zimmer!
Mit anderen Worten - er kann nicht mehr sehen. Das Sehzentrum wurde bei der OP beschädigt.
Wir haben uns erst mal nur in den Arm genommen und beide mit den Tränen gekämpft, dann bin ich losgestürzt und hab den Professor gerufen. Und der hat uns - gemeinsam mit seinem Chefneurologen - immerhin wieder ein bisschen Mut gemacht.
Der Tumor lag ja sehr nah am Sehzentrum - dadurch hatte Chris in letzter Zeit oft die Sehstörungen. Und durch die Bestrahlungen war der Tumor ja dann in das umliegende Gewebe quasi eingedrungen. Drew (der Professor) hatte bei der OP nach Rücksprache mit seinen Neurologen beschlossen, alles komplett herauszuschneiden, auch wenn dabei die Umgebung verletzt wird, da sich das Sehzentrum in der Regel regeneriert. Das war, wie er sagte "wieder eine dieser Scheiß-Situationen, wo ich in drei Sekunden entscheiden muss, ob ich jemanden lieber zum Verlust seiner Sehkraft oder zu den Torturen einer bzw. mehrerer Chemotherapien verurteile".
Chris wird - nach Meinung der Docs - nach einiger Zeit wieder sehen können, weil die beschädigten Bereiche sich wieder herstellen bzw. andere Nerven die Aufgaben mit übernehmen... oder einfach, weil diese verletzte Hirnregion jetzt nur vorübergehend "abgeschaltet" hat, um den Heilungsprozess zu erleichtern. Ich hab sowas noch nie gehört, aber der Chefneurologe sagt, das käme relativ häufig vor. Hm - ich könnte ja mal danach googeln, aber ehrlich gesagt habe ich weder Zeit noch Lust dazu, denn ich kenne mich - wenn ich nichts Entsprechendes finde, mache ich mich nur noch mehr verrückt. So hoffen und beten wir jetzt halt, dass die Ärzte Recht behalten.
Chris ist ganz schön fertig. Ich versuche so gut es geht, ihm Mut zu machen - immerhin erfinden die Ärzte sowas ja nicht, sondern es sind echte Erfahrungswerte. Aber leider liegen diese Erfahrungswerte sehr weit auseinander, wenn es darum geht, wie lange dieser Zustand anhält. Tage, Wochen, bis hin zu mehreren Monaten - da war wohl offenbar schon alles dabei. Wobei der Neurologe meint, dass es bei Chris eher nicht so lange dauern wird, weil er ja noch jung und ansonsten gesund sei.
Ich muss jetzt permanent mit Chris üben… ich muss ihm helfen, sich in seiner Dunkelheit ein wenig besser zurechtzufinden und ihm auf Anraten der Ärzte dabei immer sagen, was er "sieht" - denn nach ihrer Definition ist er nicht blind, das ist man nur, wenn die Augen keine Bilder mehr ans Gehirn liefern. Das tun seine Augen aber weiterhin, nur fühlt sich im Gehirn im Moment niemand dafür zuständig, deshalb laufen die Bilder ins Leere (so haben sie es erklärt). Ich sage also z.B. "hier ist deine Tasse… heute hast du eine weiße mit roten Punkten" (und ich vermute, dass der Indianer mir die besagte Tasse in dem Moment dann am liebsten an den Kopf schmeißen würde).
Der Neurologe "übt" ähnlich mit ihm - er bringt z.B. Kugeln und sagt "das ist eine grüne… das eine rote… usw". Und Chris antwortet ihm dann manchmal "das ist mir scheißegal, von mir aus können sie auch alle grau sein!". Ich kann ihn verstehen… und das kann der Doc auch.
Ich komme mir gerade vor wie in einem bösen Traum. Und ich bin fast immer bei ihm, um ihm zu helfen und Mut zu machen.
Wir werden das schaffen!!! Ich weiß es!!!!
Datum: 16.12.2008
Nein, ich denke nicht, dass die Ärzte das von der Regenationsfähigkeit des Gehirns nur erfunden haben! Ich vertraue ihnen - Drew ebenso wie dem Neurologen, der sich jetzt um Chris kümmert (der heißt Jenks).
Und das hier sagt eine Freundin, die Psychologie studiert hat, dazu… ich kopiere einfach mal:
Ich habe schon öfter davon gehört, dass das Gehirn beschädigte Bereiche ersetzen kann, das lernt man ja auch im Psychologie Studium. Es ist also keinesfalls ein Märchen das nur beruhigen soll, das kommt wirklich häufig vor. Ich hatte in Psychologie 2 Semester Neuropsychologie, da geht es hauptsächlich ums Gehirn, Funktionen, welche Gehirnteile für was verantwortlich sind und auch wie andere Teile Funktionen übernehmen können, wenn was ausfällt. Und das mit dem Beschreiben ist sehr plausibel, auch wenn es euch noch so blöd vorkommt. Das Gehirn braucht Hilfe beim Lernen. Aber es ist total komplex und dafür ausgestattet, Verluste zu kompensieren.
Also auch hier die Bestätigung, dass die Regeneration durchaus möglich ist. Wenn sowas sogar im Psychologiestudium gelehrt wird, kommt es bestimmt nicht allzu selten vor.
Auf eine Aussage, wie lange dieser Zustand andauern wird, lassen sich die Ärzte natürlich nicht ein, und irgendwie kann ich das auch verstehen. Schließlich ist es ja auch bei ihnen nur die Hoffnung (aufgrund ihrer Erfahrungswerte), dass sich Chris' Sehzentrum regenerieren kann. Ob es wirklich so kommt und wann das sein wird, wissen sie halt nicht, und das geben sie auch zu. Für meinen Geschmack ist das aber besser, als wenn sie so tun würden, als hätten sie alles im Griff.
Ich weiß, dass Chris trotz allem noch Glück hatte (und er weiß das auch). Statt des Verlustes seiner Sehkraft hätte er ja auch eine geistige Behinderung davontragen können, und die wäre wohl dauerhaft. Und den Krebs ist er, wie es aussieht, auch komplett los.
Natürlich reden wir auch darüber, was wäre, wenn es doch dauerhaft so bliebe. Ja - wir hätten selbst dann noch mehr als viele andere (gesunde) Menschen. Unsere Liebe, unsere Musik, unsere Freunde… Aber ich kann auch verstehen, wenn Chris frustriert ist und zu mir sagt, ich hätte ja gut reden, es ginge ja nicht um meine Sehkraft und meine Augen *seufz*. Er hat verdammt Recht, sich beschissen zu fühlen.
Es tut mir so wahnsinnig leid, wenn ich sehe, wie er sich durchs Zimmer tastet. Wenn ich könnte, würde ich mit ihm tauschen und es für ihn auf mich nehmen. Da ist die Tasse, die vielleicht irgendwann wirklich an meinem Kopf landet, wirklich Nebensache!
Datum: 19.12.2008
Es ist Wahnsinn… ich bin so glücklich…
Ja - Chris kann wieder sehen! Die Ärzte hatten Recht.
Als ich heute Morgen zu ihm kam, hat er mich angelächelt (ok, das tut er immer) und meinte: "Guten Morgen, my love. Weißt du eigentlich, dass ich dieses Teil sehr mag? Es passt genau zur Farbe deiner Augen!" Ich hab richtig Gänsehaut gekriegt und gefragt "welches Teil meinst du?" - "Na, das was du da anhast! Dieses Sweatshirt, wo vorne "opera" draufsteht!" Und, als ich ihn nur ungläubig angesehen habe, lachte er "ja, Danny, mein Kleiner - ich kann es sehen!" Und dann haben wir erst mal beide losgeheult *smile*.
Er hat es mir dann erzählt… "Danny, ich bin irgendwann heute Nacht wach geworden und habe - im Halbschlaf und aus alter Gewohnheit - die Nachttischlampe angeknipst, um auf die Uhr zu gucken. Dachte dann "oh gut, erst halb drei, da hab ich noch ein paar Stunden", hab das Licht wieder ausgemacht - und da wurde mir dann plötzlich bewusst, dass ich die Zeit gesehen habe. Erst mal hab ich bestimmt eine Viertelstunde so dagelegen und mich nicht getraut, nochmal zu gucken, weil ich Angst hatte, ich hätte es geträumt oder so - aber dann hab ich es probiert, und ich hatte nicht geträumt. Und von da ab hab ich dagelegen und mich auf dein Gesicht gefreut, wenn du am Morgen kommst. Und auf Mums Gesicht. Und auf diesen blöden Jenks (das ist der Neurologe) - warte mal ab, den krieg ich heute dran! Oh Danny, Kleiner, ich bin so glücklich!"
Ich musste lachen, hab ihm dann aber gesagt, dass er doch bitte Jenks nicht ärgern soll, der ist nämlich wirklich ein sehr netter, lieber Arzt und gibt sich so viel Mühe mit ihm. Ok, das hat er dann versprochen.
Wir haben zusammen gefrühstückt, und danach kam Jenks auch schon - mit seinem Lieblingsspielzeug, den bunten Kugeln (er hatte auch schon Bausteine dabei, mit denen Chris einen Turm bauen sollte und Schablonen, die er bestimmten Formen zuordnen sollte, oh je *seufz*). Chris hat ihn freundlich mit "Hello Doc!" begrüßt und dabei einen halben Meter an ihm vorbeigeguckt (*gg* fies, ich weiß). Und Jenks (ganz vorsichtig): "Hi Chris, guten Morgen - wir arbeiten heute wieder mit den Kugeln, ok? Nur eine halbe Stunde, aber die bitte konzentriert - geht das?" Worauf Chris "ja, ist ok" grinste, sich dann eine Kugel griff und "ich nehme dann mal die blaue hier - die Farbe gefällt mir am besten!" sagte. Der arme Jenks wurde sofort ganz bleich, murmelte "oh mein Gott"…hob dann die Hand und fragte "wie viele Finger halte ich hoch?", und Chris ganz geduldig "vier - Jenks, ich kann sie s-e-h-e-n!!!" Hey, war der da happy - hat uns beide abwechselnd umarmt und ist dann überglücklich zum Professor losgerannt.
Eine Weile später kam dann auch Gladys. Chris sagte zur Begrüßung: "Hi Mum - gut siehst du aus!" (sie sieht im Moment zwar alles andere als gut aus, aber egal)… Gladys blieb darauf wie angewurzelt stehen, presste beide Hände vor den Mund und sagte auch nur "oh mein Gott". Und dann hat sie uns auch beide umarmt *smile*.
Gladys ist jetzt noch bei Chris, ich werde nachher mit ihm zusammen zu Mittag essen - und am Nachmittag will der Doc noch ein paar Sehtests machen. Räumliches Sehen, Entfernungen abschätzen und sowas. Ich habe ihn gleich mal noch gefragt, ob es vielleicht passieren kann, dass das Sehvermögen bei Chris wieder weggeht - aber das hat er ganz definitiv verneint.
Es sieht so aus, als hätte Chris es geschafft - als hätten wir es geschafft!!!
Datum: 20.12.2008
Es ist so schön… *smile*
Die Untersuchungen, die hier noch gemacht worden, waren auch alle ok… Chris kann so gut sehen wie vorher, und die Tests auf weitere Krebszellen im Körper waren alle negativ.
Und noch was Wunderschönes: Wir dürfen nach Hause!!! Drew sieht keinen Grund, uns über Weihnachten hier zu behalten. Unter drei Bedingungen lässt er uns heim *lach* ... ich zitiere ihn:
"Erstens" (Drews Blick dabei zu Chris): "noch mindestens sechs Wochen lang keine Musik! Lieber wäre mir bis Ende Februar. Und damit meine ich Auftritte UND Proben! Ich habe mir mal angesehen, was ihr auf der Bühne treibt - das geht einfach noch nicht, ok?" - Versprochen!
"Zweitens" (dieses Mal Blick zu mir *hust*): "bitte keine Anstrengungen - auch keine anstrengenden Flugreisen! Es reicht gerade schon, wenn ihr jetzt von hier wieder nach Nashville fliegt. Macht dort dann langsam, ok?" Jaaa, Doc…. Deutschland ist doch eh schon abgehakt!
"Und drittens" (mit einem Lächeln) "drittens möchte ich euch gerne im kommenden Frühjahr nochmal hier sehen. Nicht, dass ich meinen Kollegen die Nachsorge und die restlichen Untersuchungen nicht zutraue - ich möchte es einfach. Kommt im März oder April für ein verlängertes Wochenende her, ok? Einfach, weil ich sehen möchte, wie es weiterging!" Na, das lässt sich auch noch machen.
Jetzt ist Koffer packen angesagt… *freu*! Wir werden das schönste Weihnachtsfest im ganzen Amiland haben!!!
Datum: 21.12.2008
Auch für Gladys war die letzte Zeit natürlich sehr schwer, und sie ist jetzt auch total happy. Und sie hat da etwas gebracht, darüber muss ich jetzt noch grinsen… *gg*
Gladys hat schon, als der Doc gesagt hat, dass wir heimdürfen, irgendwie so - hm, komisch geguckt. Chris meinte anschließend zu mir, dass sie ganz sicher was ausbrütet, er würde dieses Gesicht kennen (oh ja, ich kenne das Gesicht auch, Chrissy guckt nämlich genauso, wenn er über etwas grübelt *gg*).
Ja, und vorhin meinte sie dann: "Ihr fliegt ja bestimmt nach Nashville zurück, oder?" Ich: "Ja klar, wohin sonst - nach Hause!" Und Chris sofort: "Mum - wieso denn "ihr fliegt"? Warum nicht "wir fliegen nach Nashville"? Komm doch mit uns und feiere mit uns Weihnachten - jetzt, wo wir alles hinter uns haben!" Darauf hat sie sowas wie "ich habe befürchtet, dass ihr das sagt" gemurmelt… und dann: "Ach Jungs… ihr seid ja nicht allein dort, Eric und Ben sind ja bei euch. Nicht, dass ich die beiden nicht mag, ich finde sie sehr lieb und nett, das ist nicht der Grund… aber, ganz ehrlich gesagt, würde ich Weihnachten eigentlich gerne anders verbringen… oder woanders…"
Chris hat sie darauf grinsend gefragt, ob sie vielleicht wen kennen gelernt hat… "Mum, hast du dich etwa verliebt? Willst du mit einem Mann zusammen feiern?" Und Gladys darauf: "Nein, du Kindskopf - wo soll denn plötzlich ein Mann herkommen? Nein, das ist es nicht… aber …" (immer mit entsprechenden Pausen *g*) "… aber mir hat Drew ja keine Langstreckenflüge verboten. Und ich würde gerne zu Jana und den Kids - ich möchte mit den Jungs Weihnachten feiern… mit Timmy und Marc… und das Baby wieder sehen… und die kleinen Französinnen… Wärt ihr mir sehr böse, wenn ich das mache?"
Ich muss jetzt beim Schreiben immer noch grinsen *g* - diese Frau ist echt der Hammer!!! Fliegt zu Weihnachten nach Deutschland! Also das hätte ich nie erwartet, aber ehrlich gesagt - ich finde es toll! Und Jana weiß schon Bescheid und freut sich riesig! :-)
Natürlich würde auch ich gerne nach Deutschland fliegen, aber das wäre wirklich zu anstrengend für Chris, und er hat ja in Nashville auch noch Nachuntersuchungen. Aber wir werden auch so das schönste Weihnachtsfest überhaupt haben, da bin ich mir sicher. Und Ben und Eric freuen sich auch schon, dass wir kommen.
Datum: 24.12.2008
Wir sind wieder daheim in Nashville, und es ist Wahnsinn!!!
Ben und Eric haben unsere Wohnung in ein wahres Weihnachtsmärchen verwandelt *smile*… ok, natürlich in ein amerikanisches Weihnachtsmärchen *zwinker*. Neben der Treppe steht ein großer geschmückter Weihnachtsbaum, am Treppengeländer ranken sich Tannengirlanden mit Sternen, am Kamin hängen große Strümpfe (da steckt Santa Claus hier die Geschenke rein) - und überall stehen Kerzen, Engelchen und andere Weihnachtsdekos. Aber alles sehr hübsch - Geschmack haben die beiden ja schon.
Für mich wollten sie auch ein paar deutsche Elemente einbringen *lächel*… sie haben deshalb Saskia um Rat gefragt, aber die konnte ihnen nicht viel helfen, bei ihr daheim war Weihnachten offenbar früher nicht so angesagt. Immerhin hat sie sich erinnert, dass ihre Mutter immer blühende Weihnachtssterne aufgestellt hatte (diese Pflanzen, ich glaube, man nennt sie auch Christusstern). Und so stehen bei uns jetzt auf dem Küchentisch, dem Esstisch sowie oben auf dem Sockel der Treppe rot blühende Weihnachtssterne. Und außerdem hat Saskia ihnen Weihnachtspyramiden (diese Dinger, die sich drehen, wenn man die Kerzen ansteckt und die Wärme aufsteigt) als "typisch deutsch" empfohlen - also habe wir jetzt so eine auf dem Couchtisch stehen. Sie haben sich wirklich alle Mühe gegeben, unsere beiden.
Gladys ist auch gut in Deutschland angekommen. Der Zwerg hat sich gefreut wie ein Schneekönig, dass sie kommt - vielleicht hat ihn das ein wenig entschädigt dafür, dass wir dieses Jahr nicht bei ihnen sein können. Und ich glaube, Gladys könnte nirgendwo anders besser abschalten und sich von den Sorgen der letzten Wochen und Monate erholen als bei einem Weihnachtsfest mit den Kindern. Das ist schon ok so.
Ich bin mir sicher, dass wir ein schönes Weihnachtsfest zusammen haben werden. Und mein schönstes Geschenk - dass Chris wieder gesund ist - habe ich ja eh schon! :- )
Es gibt Neuigkeiten… es sieht so aus, als sei der Tumor durch die Bestrahlungen kleiner geworden und vielleicht sogar ganz abgestorben. Das ist die gute Nachricht.
Die weniger gute Nachricht ist, dass der Tumor sich - wohl durch diese Behandlung - ziemlich tief in das umliegende Gewebe "eingefressen" hat. Das erschwert natürlich die OP und erhöht das Risiko, dass dabei andere Hirnregionen (= Körperfunktionen!) beschädigt werden. Die Alternative wäre eine Chemotherapie.
Unser Arzt hat sich entschieden, die OP zu versuchen, sie findet am kommenden Mittwoch statt. Er meint, wahrscheinlich würde er erst während der OP ganz genau sehen können, ob er den Tumor komplett entfernen kann - und dann ad hoc die Entscheidung treffen müssen, ob er das Risiko, andere Teile des Hirns zu verletzen, eingehen will. Er ist ein sehr erfahrener Arzt - wir vertrauen ihm, dass er das Richtige tut.
Weihnachten in Deutschland haben wir inzwischen für dieses Jahr abgehakt. Selbst wenn Chris nach der OP schnell wieder fit sein sollte, ist uns das Risiko zu hoch - wir bleiben lieber hier, wo wir notfalls schnell bei unseren Ärzten sind. So werden wir Weihnachten also entweder hier in der Klinik oder in unserer Wohnung mit Ben und Eric feiern. Es ist schon ok so... dann sitzen wir halt nächstes Jahr wieder bei Jana und reden darüber, wie schlimm es vor einem Jahr war. Hauptsache, Chris wird wieder gesund!
Ich sehe das Bild von den beiden alten Männern auf ihrer Terrasse immer noch vor mir und glaube ganz fest daran! Und ich versuche, Chris soviel Zuversicht und Optimismus zu vermitteln wie möglich. Wir werden das gemeinsam schaffen!!!
Datum: 10.12.2008
Heute wird es also ernst. Und ich konnte - wen wundert es? - die ganze Nacht nicht schlafen… *seufz*
Ich habe dem Professor jede Menge Fragen zu dem Tumor gestellt. Warum kann er nicht einfach drin bleiben, wenn er abgestorben ist? (Weil man eben von außen nicht genau sagen kann, ob er völlig abgestorben ist und nicht doch wieder "aufleben" oder streuen kann und er außerdem auch in der jetzigen Größe noch Beschwerden verursacht). Warum kann man ihn nicht einfach noch weiter bestrahlen? (Weil er sich dadurch nicht in Luft auflösen, sondern seine jetzige Größe in etwa beibehalten und weiterhin Beschwerden verursachen würde). Ich hab ihn wirklich ausgiebig "gelöchert", aber er ist sehr nett und erklärt es notfalls auch zehnmal.
Ich hab mich über diesen Mann sowieso schon mehrmals gewundert. So hat er mich bei unserer Ankunft hier, während Chris die ersten Untersuchungen hatte, zu sich kommen lassen und mich händeschüttelnd mit "Hi Danny - I'm Drew!" begrüßt. Statt zurück zu grüßen, hab ich ihn daraufhin ganz blöd gefragt, ob ich ihn etwa so nennen soll *g*… ja, das soll ich machen. Wir sind jetzt nämlich ein Team, hat er mir erklärt - ich bin dafür zuständig, Chris immer wieder aufzubauen und ihm Hoffnung, Zuversicht und Optimismus zu vermitteln, während er (der Professor) umgekehrt für mich Ansprechpartner für alle Fragen und Ängste ist, damit ich davon nichts bei Chris ablade. Schließlich sei die Psyche doch gerade bei Krebs so wichtig, deshalb müsse ich Chris gegenüber immer positiv sein.
Weiter hat er dann bei diesem Begrüßungsgespräch gesagt, er ginge ja davon aus, dass ich in der kommenden Zeit bei meinem Freund bleiben wolle, und deshalb seien unsere Zimmer schon gerichtet - und ich hab wieder blöd geguckt und "ähem - ich hab mir ein Zimmer unten im Ort im Hotel reserviert" gesagt. Daraufhin von ihm eine kurze Anweisung an sein Vorzimmer, sie sollen das Hotelzimmer bitte mit einem schönen Gruß von ihm wieder stornieren - ich sei Angehöriger eines Patienten und werde selbstverständlich hier in der Klinik mit untergebracht *staun*. Sowas hab ich noch nie gehört... sie haben hier wirklich einen Gebäudetrakt mit Zimmern für die Angehörigen! Und bis zur OP konnte Chris mit mir da wohnen und schlafen, nur jetzt kommt er natürlich auf die reguläre Station. Und Gladys (ja, die ist inzwischen auch hier) ist ebenfalls hier untergebracht, ein paar Zimmer weiter von uns.
Und schließlich ließ Drew (*smile*) dann bei dem Begrüßungsgespräch noch eine Rebekka zu uns kommen - das ist eine Deutsche, die in der Klinik hier als Krankenschwester arbeitet. Er meinte, mein Englisch sei zwar gut, aber gerade bei den medizinischen Fachbegriffen würde es mir bestimmt helfen, manchmal etwas in meiner Muttersprache erklärt zu bekommen, deshalb solle ich mich dann immer an sie wenden. Finde ich echt nett!
Und die Rebekka ist auch eine Nette… 28, wollte eigentlich nur ein Auslandspraktikum hier machen, hat sich dann aber in einen der Ärzte verliebt und ist hier geblieben. Und ihr Freund ist jetzt im Rahmen von "Ärzte ohne Grenzen" in Afghanistan, voraussichtlich bis Mitte oder Ende Februar - das heißt, das Mädel hat dieses Jahr auch keine schöne Weihnacht. Sie hat nur den einen Wunsch, dass ihr Freund lebend und unversehrt wieder zurückkommt, und ich hab auch nur den Wunsch, dass Chris alles gut übersteht… insofern können wir uns gegenseitig ein bisschen Mut machen und aufbauen. Sie hält übrigens große Stücke auf ihren Chef und ist überzeugt, dass, wenn überhaupt einer so eine OP hinkriegt, er das ist. Das gibt Hoffnung!
Datum: 12.12.2008
Die Operation war ziemlich schwer und hat lange gedauert, und seitdem liegt Chris in einer Art künstlichem Koma. Alles, was ich bisher sagen kann, ist, dass der Doc den Tumor komplett entfernen konnte - aber da das Ding sich sehr tief ins umliegende Gewebe eingegraben hatte, musste er auch sehr tief schneiden.
Genaueres wissen wir erst, wenn Chris wieder wach wird…
Datum: 14.12.2008
Wie fange ich an?
Also erst mal: Chris hat die OP soweit gut überstanden. Er hat zwei Tage in diesem künstlichen Koma gelegen und ist dann von allein wieder wach geworden. Und der Professor konnte den Tumor bei der OP wirklich vollständig entfernen, außerdem hält er es für äußerst unwahrscheinlich, dass das Ding bereits gestreut hat, auch wenn die entsprechenden Untersuchungsergebnisse noch ausstehen. Soweit die guten Nachrichten.
Allerdings gab es einen schlimmen Schock, als Chris wieder wach wurde. Ich war gerade bei ihm, als er zu sich kam. Er war auch gleich wieder ganz klar, sprach mich sofort an und fragte, ob er jetzt alles hinter sich habe. Aber irgendwie hat er mich dabei so ganz seltsam angesehen. Und dann bat er mich, doch mal das Licht anzumachen, damit er mich sehen könne. Aber draußen schien die Sonne, es war taghell im Zimmer!
Mit anderen Worten - er kann nicht mehr sehen. Das Sehzentrum wurde bei der OP beschädigt.
Wir haben uns erst mal nur in den Arm genommen und beide mit den Tränen gekämpft, dann bin ich losgestürzt und hab den Professor gerufen. Und der hat uns - gemeinsam mit seinem Chefneurologen - immerhin wieder ein bisschen Mut gemacht.
Der Tumor lag ja sehr nah am Sehzentrum - dadurch hatte Chris in letzter Zeit oft die Sehstörungen. Und durch die Bestrahlungen war der Tumor ja dann in das umliegende Gewebe quasi eingedrungen. Drew (der Professor) hatte bei der OP nach Rücksprache mit seinen Neurologen beschlossen, alles komplett herauszuschneiden, auch wenn dabei die Umgebung verletzt wird, da sich das Sehzentrum in der Regel regeneriert. Das war, wie er sagte "wieder eine dieser Scheiß-Situationen, wo ich in drei Sekunden entscheiden muss, ob ich jemanden lieber zum Verlust seiner Sehkraft oder zu den Torturen einer bzw. mehrerer Chemotherapien verurteile".
Chris wird - nach Meinung der Docs - nach einiger Zeit wieder sehen können, weil die beschädigten Bereiche sich wieder herstellen bzw. andere Nerven die Aufgaben mit übernehmen... oder einfach, weil diese verletzte Hirnregion jetzt nur vorübergehend "abgeschaltet" hat, um den Heilungsprozess zu erleichtern. Ich hab sowas noch nie gehört, aber der Chefneurologe sagt, das käme relativ häufig vor. Hm - ich könnte ja mal danach googeln, aber ehrlich gesagt habe ich weder Zeit noch Lust dazu, denn ich kenne mich - wenn ich nichts Entsprechendes finde, mache ich mich nur noch mehr verrückt. So hoffen und beten wir jetzt halt, dass die Ärzte Recht behalten.
Chris ist ganz schön fertig. Ich versuche so gut es geht, ihm Mut zu machen - immerhin erfinden die Ärzte sowas ja nicht, sondern es sind echte Erfahrungswerte. Aber leider liegen diese Erfahrungswerte sehr weit auseinander, wenn es darum geht, wie lange dieser Zustand anhält. Tage, Wochen, bis hin zu mehreren Monaten - da war wohl offenbar schon alles dabei. Wobei der Neurologe meint, dass es bei Chris eher nicht so lange dauern wird, weil er ja noch jung und ansonsten gesund sei.
Ich muss jetzt permanent mit Chris üben… ich muss ihm helfen, sich in seiner Dunkelheit ein wenig besser zurechtzufinden und ihm auf Anraten der Ärzte dabei immer sagen, was er "sieht" - denn nach ihrer Definition ist er nicht blind, das ist man nur, wenn die Augen keine Bilder mehr ans Gehirn liefern. Das tun seine Augen aber weiterhin, nur fühlt sich im Gehirn im Moment niemand dafür zuständig, deshalb laufen die Bilder ins Leere (so haben sie es erklärt). Ich sage also z.B. "hier ist deine Tasse… heute hast du eine weiße mit roten Punkten" (und ich vermute, dass der Indianer mir die besagte Tasse in dem Moment dann am liebsten an den Kopf schmeißen würde).
Der Neurologe "übt" ähnlich mit ihm - er bringt z.B. Kugeln und sagt "das ist eine grüne… das eine rote… usw". Und Chris antwortet ihm dann manchmal "das ist mir scheißegal, von mir aus können sie auch alle grau sein!". Ich kann ihn verstehen… und das kann der Doc auch.
Ich komme mir gerade vor wie in einem bösen Traum. Und ich bin fast immer bei ihm, um ihm zu helfen und Mut zu machen.
Wir werden das schaffen!!! Ich weiß es!!!!
Datum: 16.12.2008
Nein, ich denke nicht, dass die Ärzte das von der Regenationsfähigkeit des Gehirns nur erfunden haben! Ich vertraue ihnen - Drew ebenso wie dem Neurologen, der sich jetzt um Chris kümmert (der heißt Jenks).
Und das hier sagt eine Freundin, die Psychologie studiert hat, dazu… ich kopiere einfach mal:
Ich habe schon öfter davon gehört, dass das Gehirn beschädigte Bereiche ersetzen kann, das lernt man ja auch im Psychologie Studium. Es ist also keinesfalls ein Märchen das nur beruhigen soll, das kommt wirklich häufig vor. Ich hatte in Psychologie 2 Semester Neuropsychologie, da geht es hauptsächlich ums Gehirn, Funktionen, welche Gehirnteile für was verantwortlich sind und auch wie andere Teile Funktionen übernehmen können, wenn was ausfällt. Und das mit dem Beschreiben ist sehr plausibel, auch wenn es euch noch so blöd vorkommt. Das Gehirn braucht Hilfe beim Lernen. Aber es ist total komplex und dafür ausgestattet, Verluste zu kompensieren.
Also auch hier die Bestätigung, dass die Regeneration durchaus möglich ist. Wenn sowas sogar im Psychologiestudium gelehrt wird, kommt es bestimmt nicht allzu selten vor.
Auf eine Aussage, wie lange dieser Zustand andauern wird, lassen sich die Ärzte natürlich nicht ein, und irgendwie kann ich das auch verstehen. Schließlich ist es ja auch bei ihnen nur die Hoffnung (aufgrund ihrer Erfahrungswerte), dass sich Chris' Sehzentrum regenerieren kann. Ob es wirklich so kommt und wann das sein wird, wissen sie halt nicht, und das geben sie auch zu. Für meinen Geschmack ist das aber besser, als wenn sie so tun würden, als hätten sie alles im Griff.
Ich weiß, dass Chris trotz allem noch Glück hatte (und er weiß das auch). Statt des Verlustes seiner Sehkraft hätte er ja auch eine geistige Behinderung davontragen können, und die wäre wohl dauerhaft. Und den Krebs ist er, wie es aussieht, auch komplett los.
Natürlich reden wir auch darüber, was wäre, wenn es doch dauerhaft so bliebe. Ja - wir hätten selbst dann noch mehr als viele andere (gesunde) Menschen. Unsere Liebe, unsere Musik, unsere Freunde… Aber ich kann auch verstehen, wenn Chris frustriert ist und zu mir sagt, ich hätte ja gut reden, es ginge ja nicht um meine Sehkraft und meine Augen *seufz*. Er hat verdammt Recht, sich beschissen zu fühlen.
Es tut mir so wahnsinnig leid, wenn ich sehe, wie er sich durchs Zimmer tastet. Wenn ich könnte, würde ich mit ihm tauschen und es für ihn auf mich nehmen. Da ist die Tasse, die vielleicht irgendwann wirklich an meinem Kopf landet, wirklich Nebensache!
Datum: 19.12.2008
Es ist Wahnsinn… ich bin so glücklich…
Ja - Chris kann wieder sehen! Die Ärzte hatten Recht.
Als ich heute Morgen zu ihm kam, hat er mich angelächelt (ok, das tut er immer) und meinte: "Guten Morgen, my love. Weißt du eigentlich, dass ich dieses Teil sehr mag? Es passt genau zur Farbe deiner Augen!" Ich hab richtig Gänsehaut gekriegt und gefragt "welches Teil meinst du?" - "Na, das was du da anhast! Dieses Sweatshirt, wo vorne "opera" draufsteht!" Und, als ich ihn nur ungläubig angesehen habe, lachte er "ja, Danny, mein Kleiner - ich kann es sehen!" Und dann haben wir erst mal beide losgeheult *smile*.
Er hat es mir dann erzählt… "Danny, ich bin irgendwann heute Nacht wach geworden und habe - im Halbschlaf und aus alter Gewohnheit - die Nachttischlampe angeknipst, um auf die Uhr zu gucken. Dachte dann "oh gut, erst halb drei, da hab ich noch ein paar Stunden", hab das Licht wieder ausgemacht - und da wurde mir dann plötzlich bewusst, dass ich die Zeit gesehen habe. Erst mal hab ich bestimmt eine Viertelstunde so dagelegen und mich nicht getraut, nochmal zu gucken, weil ich Angst hatte, ich hätte es geträumt oder so - aber dann hab ich es probiert, und ich hatte nicht geträumt. Und von da ab hab ich dagelegen und mich auf dein Gesicht gefreut, wenn du am Morgen kommst. Und auf Mums Gesicht. Und auf diesen blöden Jenks (das ist der Neurologe) - warte mal ab, den krieg ich heute dran! Oh Danny, Kleiner, ich bin so glücklich!"
Ich musste lachen, hab ihm dann aber gesagt, dass er doch bitte Jenks nicht ärgern soll, der ist nämlich wirklich ein sehr netter, lieber Arzt und gibt sich so viel Mühe mit ihm. Ok, das hat er dann versprochen.
Wir haben zusammen gefrühstückt, und danach kam Jenks auch schon - mit seinem Lieblingsspielzeug, den bunten Kugeln (er hatte auch schon Bausteine dabei, mit denen Chris einen Turm bauen sollte und Schablonen, die er bestimmten Formen zuordnen sollte, oh je *seufz*). Chris hat ihn freundlich mit "Hello Doc!" begrüßt und dabei einen halben Meter an ihm vorbeigeguckt (*gg* fies, ich weiß). Und Jenks (ganz vorsichtig): "Hi Chris, guten Morgen - wir arbeiten heute wieder mit den Kugeln, ok? Nur eine halbe Stunde, aber die bitte konzentriert - geht das?" Worauf Chris "ja, ist ok" grinste, sich dann eine Kugel griff und "ich nehme dann mal die blaue hier - die Farbe gefällt mir am besten!" sagte. Der arme Jenks wurde sofort ganz bleich, murmelte "oh mein Gott"…hob dann die Hand und fragte "wie viele Finger halte ich hoch?", und Chris ganz geduldig "vier - Jenks, ich kann sie s-e-h-e-n!!!" Hey, war der da happy - hat uns beide abwechselnd umarmt und ist dann überglücklich zum Professor losgerannt.
Eine Weile später kam dann auch Gladys. Chris sagte zur Begrüßung: "Hi Mum - gut siehst du aus!" (sie sieht im Moment zwar alles andere als gut aus, aber egal)… Gladys blieb darauf wie angewurzelt stehen, presste beide Hände vor den Mund und sagte auch nur "oh mein Gott". Und dann hat sie uns auch beide umarmt *smile*.
Gladys ist jetzt noch bei Chris, ich werde nachher mit ihm zusammen zu Mittag essen - und am Nachmittag will der Doc noch ein paar Sehtests machen. Räumliches Sehen, Entfernungen abschätzen und sowas. Ich habe ihn gleich mal noch gefragt, ob es vielleicht passieren kann, dass das Sehvermögen bei Chris wieder weggeht - aber das hat er ganz definitiv verneint.
Es sieht so aus, als hätte Chris es geschafft - als hätten wir es geschafft!!!
Datum: 20.12.2008
Es ist so schön… *smile*
Die Untersuchungen, die hier noch gemacht worden, waren auch alle ok… Chris kann so gut sehen wie vorher, und die Tests auf weitere Krebszellen im Körper waren alle negativ.
Und noch was Wunderschönes: Wir dürfen nach Hause!!! Drew sieht keinen Grund, uns über Weihnachten hier zu behalten. Unter drei Bedingungen lässt er uns heim *lach* ... ich zitiere ihn:
"Erstens" (Drews Blick dabei zu Chris): "noch mindestens sechs Wochen lang keine Musik! Lieber wäre mir bis Ende Februar. Und damit meine ich Auftritte UND Proben! Ich habe mir mal angesehen, was ihr auf der Bühne treibt - das geht einfach noch nicht, ok?" - Versprochen!
"Zweitens" (dieses Mal Blick zu mir *hust*): "bitte keine Anstrengungen - auch keine anstrengenden Flugreisen! Es reicht gerade schon, wenn ihr jetzt von hier wieder nach Nashville fliegt. Macht dort dann langsam, ok?" Jaaa, Doc…. Deutschland ist doch eh schon abgehakt!
"Und drittens" (mit einem Lächeln) "drittens möchte ich euch gerne im kommenden Frühjahr nochmal hier sehen. Nicht, dass ich meinen Kollegen die Nachsorge und die restlichen Untersuchungen nicht zutraue - ich möchte es einfach. Kommt im März oder April für ein verlängertes Wochenende her, ok? Einfach, weil ich sehen möchte, wie es weiterging!" Na, das lässt sich auch noch machen.
Jetzt ist Koffer packen angesagt… *freu*! Wir werden das schönste Weihnachtsfest im ganzen Amiland haben!!!
Datum: 21.12.2008
Auch für Gladys war die letzte Zeit natürlich sehr schwer, und sie ist jetzt auch total happy. Und sie hat da etwas gebracht, darüber muss ich jetzt noch grinsen… *gg*
Gladys hat schon, als der Doc gesagt hat, dass wir heimdürfen, irgendwie so - hm, komisch geguckt. Chris meinte anschließend zu mir, dass sie ganz sicher was ausbrütet, er würde dieses Gesicht kennen (oh ja, ich kenne das Gesicht auch, Chrissy guckt nämlich genauso, wenn er über etwas grübelt *gg*).
Ja, und vorhin meinte sie dann: "Ihr fliegt ja bestimmt nach Nashville zurück, oder?" Ich: "Ja klar, wohin sonst - nach Hause!" Und Chris sofort: "Mum - wieso denn "ihr fliegt"? Warum nicht "wir fliegen nach Nashville"? Komm doch mit uns und feiere mit uns Weihnachten - jetzt, wo wir alles hinter uns haben!" Darauf hat sie sowas wie "ich habe befürchtet, dass ihr das sagt" gemurmelt… und dann: "Ach Jungs… ihr seid ja nicht allein dort, Eric und Ben sind ja bei euch. Nicht, dass ich die beiden nicht mag, ich finde sie sehr lieb und nett, das ist nicht der Grund… aber, ganz ehrlich gesagt, würde ich Weihnachten eigentlich gerne anders verbringen… oder woanders…"
Chris hat sie darauf grinsend gefragt, ob sie vielleicht wen kennen gelernt hat… "Mum, hast du dich etwa verliebt? Willst du mit einem Mann zusammen feiern?" Und Gladys darauf: "Nein, du Kindskopf - wo soll denn plötzlich ein Mann herkommen? Nein, das ist es nicht… aber …" (immer mit entsprechenden Pausen *g*) "… aber mir hat Drew ja keine Langstreckenflüge verboten. Und ich würde gerne zu Jana und den Kids - ich möchte mit den Jungs Weihnachten feiern… mit Timmy und Marc… und das Baby wieder sehen… und die kleinen Französinnen… Wärt ihr mir sehr böse, wenn ich das mache?"
Ich muss jetzt beim Schreiben immer noch grinsen *g* - diese Frau ist echt der Hammer!!! Fliegt zu Weihnachten nach Deutschland! Also das hätte ich nie erwartet, aber ehrlich gesagt - ich finde es toll! Und Jana weiß schon Bescheid und freut sich riesig! :-)
Natürlich würde auch ich gerne nach Deutschland fliegen, aber das wäre wirklich zu anstrengend für Chris, und er hat ja in Nashville auch noch Nachuntersuchungen. Aber wir werden auch so das schönste Weihnachtsfest überhaupt haben, da bin ich mir sicher. Und Ben und Eric freuen sich auch schon, dass wir kommen.
Datum: 24.12.2008
Wir sind wieder daheim in Nashville, und es ist Wahnsinn!!!
Ben und Eric haben unsere Wohnung in ein wahres Weihnachtsmärchen verwandelt *smile*… ok, natürlich in ein amerikanisches Weihnachtsmärchen *zwinker*. Neben der Treppe steht ein großer geschmückter Weihnachtsbaum, am Treppengeländer ranken sich Tannengirlanden mit Sternen, am Kamin hängen große Strümpfe (da steckt Santa Claus hier die Geschenke rein) - und überall stehen Kerzen, Engelchen und andere Weihnachtsdekos. Aber alles sehr hübsch - Geschmack haben die beiden ja schon.
Für mich wollten sie auch ein paar deutsche Elemente einbringen *lächel*… sie haben deshalb Saskia um Rat gefragt, aber die konnte ihnen nicht viel helfen, bei ihr daheim war Weihnachten offenbar früher nicht so angesagt. Immerhin hat sie sich erinnert, dass ihre Mutter immer blühende Weihnachtssterne aufgestellt hatte (diese Pflanzen, ich glaube, man nennt sie auch Christusstern). Und so stehen bei uns jetzt auf dem Küchentisch, dem Esstisch sowie oben auf dem Sockel der Treppe rot blühende Weihnachtssterne. Und außerdem hat Saskia ihnen Weihnachtspyramiden (diese Dinger, die sich drehen, wenn man die Kerzen ansteckt und die Wärme aufsteigt) als "typisch deutsch" empfohlen - also habe wir jetzt so eine auf dem Couchtisch stehen. Sie haben sich wirklich alle Mühe gegeben, unsere beiden.
Gladys ist auch gut in Deutschland angekommen. Der Zwerg hat sich gefreut wie ein Schneekönig, dass sie kommt - vielleicht hat ihn das ein wenig entschädigt dafür, dass wir dieses Jahr nicht bei ihnen sein können. Und ich glaube, Gladys könnte nirgendwo anders besser abschalten und sich von den Sorgen der letzten Wochen und Monate erholen als bei einem Weihnachtsfest mit den Kindern. Das ist schon ok so.
Ich bin mir sicher, dass wir ein schönes Weihnachtsfest zusammen haben werden. Und mein schönstes Geschenk - dass Chris wieder gesund ist - habe ich ja eh schon! :- )
Galahad - 9. Jan, 21:22