NOVEMBER 2008
Datum: 14.11.2008
Unser Halloween-Gig ist sehr gut gelaufen. Chris hatte mir ja vorher versprechen müssen, dass er sofort Schluss macht, wenn er merkt, dass er es nicht packt - aber es lief super, er war so richtig in seinem Element und hat jede Sekunde auf der Bühne genossen. Nur das "Rahmenprogramm" (anschließende Sauferei mit Fans und Kollegen *grins*) haben wir ziemlich reduziert, da war er doch ganz schön ko. Aber es war gut so - er braucht das einfach zwischendurch.
Bestrahlungen hatte er mittlerweile 10 Stück - zwei hat er also noch vor sich. Danach wird er dann eine oder zwei Wochen Ruhe haben, und erst dann wollen die Ärzte untersuchen, ob sich Veränderungen ergeben haben. Dieser Zeitraum sei wichtig, weil die Bestrahlungen noch eine Weile nachwirken, sagen sie. Und dann folgt die OP… die findet aber nicht hier statt, sondern in der Privatklinik des einen Professors, das heißt, dann müssen wir umsiedeln, und zwar in die Nähe von Houston/Texas. Das klingt für mich ganz komisch - irgendwie hab ich von Texanern alle möglichen Vorstellungen, nur nicht, dass sie führend bei Krebs-OPs sind. Wobei dieser Doc allerdings selbst schon eine beeindruckende Persönlichkeit ist und zudem sehr erfahren - man fühlt sich schon gut aufgehoben bei ihm. Warten wir's ab… ich wünschte, wir hätten das alles schon hinter uns *seufz*.
Wir versuchen, uns im Moment nicht zu sehr verrückt zu machen mit der Frage, ob und wie die Bestrahlungen wirken. Man sucht ganz automatisch nach jedem winzigen Hinweis ("dieses Mal waren die Kopfschmerzen stärker/weniger stark, das ist bestimmt gut"… "in den letzen Tagen ist mir kein einziges Mal schwindelig geworden, das muss doch ein gutes Zeichen sein"… usw) - aber das sollten wir nicht tun. Ich habe unserem Arzt diese Fragen auch gestellt, und der meinte nur "ja, das kann alles ein gutes Zeichen sein, aber auch genau das Gegenteil. Wir müssen abwarten, alles andere hilft nichts. Lasst es auf euch zukommen." Bleibt uns wohl nichts anderes übrig.
Aber dafür können wir morgen wieder auftreten *freu*… in unserem Lieblingsclub hier in Nashville. Oh Mann, das ist so schön! Chris freut sich wie blöd *lach*… und ich freu mich auch!
Datum: 20.11.2008
Der Auftritt in unserem Lieblingsclub am letzten Wochenende war sehr gut… es war tolle Stimmung und hat super Spaß gemacht. Aber anschließend ist Chris hinter der Bühne fast zusammengeklappt *seufz* - er war fix und fertig! Die Bestrahlungen schwächen den Körper, das sollte man nicht unterschätzen. Aber der Doc meinte ja vorher, Chris könne es ruhig versuchen, wenn er Lust dazu hätte - er würde schon von allein merken, ob es ihm bekommt, und schlimmer machen könnte er damit auch nichts. Naja - dass er hinterher ko sein wird, wussten wir im Grunde genommen vorher schon.
Er wird ja jetzt generell leicht müde, bei allem, was er macht, aber er will deswegen trotzdem nicht auf alles verzichten, sondern so "normal" wie möglich weiterleben. Ich kann ihn da gut verstehen, mir würde es genauso gehen. Wir sind halt Musiker und brauchen dieses Gefühl, auf der Bühne zu stehen - und auch, wenn es Chris müde und fertig macht, so gibt es ihm auch gleichzeitig Kraft, denn er vergisst dann für eine Weile seine Krankheit.
Es wird allmählich ernst, heute ist die letzte Bestrahlung, hoffentlich hat es was gebracht! Ich schätze, dass wir Anfang Dezember nach Texas ziehen.
Datum: 28.11.2008
Am 1. Dezember geht es jetzt endgültig bei uns los, da siedeln wir nach Texas über. Ich hab richtig Bauchweh, wenn ich daran denke - aber es hilft nichts, da müssen wir jetzt durch!
Letzte Woche, als Chris seine Bestrahlung hatte, habe ich noch etwas erlebt, was mich ziemlich erschreckt und nachdenklich gemacht hat. Ich habe immer auf ihn in so einer Art Aufenthaltsraum gewartet, dort kann man was lesen, es gibt Kaffee, Tee und kalte Getränke - halt ein Wartezimmer. Und da kam, als ich gerade da saß, eine Frau rein, so etwa in meinem Alter… setzte sich hin, guckte irgendwo ins Leere, und die Tränen liefen ihr nur so übers Gesicht. Mich hat sie, glaube ich, gar nicht registriert. Naja - sie tat mir leid, ich hab mich dann nach zwei oder drei Minuten neben sie gesetzt und "ist es so schlimm?" gefragt (ja, absolut unamerikanisch, ich weiß *g*). Sie war auch überrascht, aber dann hat sie erzählt… dass Brian, ihr Ehemann, einen Gehirntumor hat und heute die letzte Bestrahlung bekommt, und dass sie jetzt nur noch beten können, dass der Tumor dadurch weggegangen ist *seufz*. Ich hab ihr gesagt, dass mein Freund auch einen Tumor hat und insgesamt zwölf Bestrahlungen bekommt und dann operiert wird, und wie viele Bestrahlungen ihr Ehemann denn bekommen hat - da sagte sie "vier". Und als ich gefragt hab "wie, nur vier Stück? Und keine OP?", hat sie wieder geheult und gemeint, mehr als vier Bestrahlungen könnten sie halt nicht bezahlen und eine OP schon gar nicht, also könnten sie nur beten, dass vier Stück ausreichen, um den Tumor abzutöten. Ein bisschen Geld müssten sie ja noch zurückbehalten für die Ausbildung ihrer Kinder (3 Söhne), habe Brian gesagt, aber das würde auch maximal für eine oder zwei weitere Bestrahlungen reichen. Mir ist ganz komisch geworden - kein Geld, keine Krankenversicherung, also Pech gehabt, oder wie? Ein Mann Mitte Dreißig - mit Frau und drei Söhnen! Ich wusste gar nicht, was ich darauf antworten sollte, aber die Frau wurde dann auch gerufen und musste weg.
Ich hab hinterher dann mal den einen der Ärzte gefragt, was in so einem Fall passiert… und er meinte, sie hätten bisher noch nie einen Krebspatient, der vielleicht geheilt werden könnte, einfach so weggeschickt, aber sie müssten halt auch rentabel und gewinnbringend arbeiten, sonst gäbe es dieses Krebscenter nicht mehr lange. Vermutlich würde der behandelnde Arzt dieser Frau und ihrem Ehemann erst mal dringend nahe legen, all ihre Ersparnisse aufzubrauchen - wenn Hubby überleben würde, könne er ja wieder neues Geld verdienen und für die Ausbildung der Kids sparen. Und dann müssten sie halt noch die ganze Familie und Verwandtschaft abklappern und so viel Geld wie möglich auftreiben für Bestrahlungen und OP. Das Center selbst würde auch, wenn nötig, Kredite vermitteln - und außerdem gäbe es staatliche Stellen, wo man Unterstützung beantragen könnte, das würde man der Frau hier alles erklären.
Ich war irgendwie geschockt, und er meinte dann: "Du bist Ausländer, nicht wahr - Deutscher? Ok, ihr habt ein anderes Krankensystem, ich weiß… aber auch bei euch wird nicht alles von euren Kassen bezahlt, auch da ist es manchmal eine Frage des Geldes." Damit hat er ja nicht mal Unrecht *seufz*.
Und bei der Gelegenheit ist mir dann auch noch aufgefallen, dass wir seit dem Beginn von Chris' Behandlung noch keine einzige Arztrechnung bekommen haben. Ich hab den starken Verdacht, dass Gladys das veranlasst hat… wahrscheinlich kriegt (und bezahlt) sie die Rechnungen. Das würde zu ihr passen… aber was soll ich dazu sagen? Sie bräuchte das nicht zu tun - aber bestimmt fühlt sie sich besser, wenn sie auf diese Art "helfen" kann. Ich muss sie unbedingt mal danach fragen *kopfschüttel*.
Im Moment geht es Chris gerade ganz gut, er hat jetzt, wo die Bestrahlungen vorbei sind, so gut wie keine Beschwerden. Das letzte Wochenende haben wir mit Eric und Ben verbracht. Erics Mum war für ein paar Tage zu Besuch, sie wollte mal sehen, wie "ihre Jungs" (so sagt sie, genau wie Gladys bei uns immer sagt *smile*) jetzt wohnen. Und nachdem sie deren Wohnung gesehen hat und anschließend unsere, meinte sie, ab sofort würde sie sich nicht mehr trauen, einen von uns in ihre "Bauernhütte" einzuladen… das war aber nur Spaß, es hat ihr alles sehr gut gefallen.
Über Chrissys Erkrankung war sie sehr traurig… sie hat gesagt, wenn wir alles hinter uns hätten, sollten wir einen schönen Erholungsurlaub bei ihnen in den Bergen von Minnesota machen, die Luft würde uns gut tun, und sie würde Chris dann wieder "aufpäppeln". Hm - dabei sieht er im Moment wirklich nicht danach aus, als ob er das bräuchte… dadurch, dass er keinen Sport mehr macht, hat er zugenommen *fg*. Aber es ist doch schön, für die anschließende Erholung haben wir schon einige Angebote *lach*… wir können hinterher nach Deutschland, nach Florida, nach Montana und jetzt auch noch nach Minnesota. Fehlt nur noch, dass uns Johnnys Schwester nach Australien einlädt! ;-)
Demnächst werden wir übrigens mit Ben und Eric wieder eine WG machen *smile*. Die beiden haben im Moment ein bisschen finanzielle Probleme - Ben hat seinen Job verloren (er ist/war Vermögensberater, das habe ich, glaube ich, schon mal erwähnt), und Eric verdient nicht sehr viel, so dass es bei den beiden eng wird mit der Miete für die Wohnung. Und wie der Zufall es will, sucht ein Kollege von Eric gerade eine vorübergehende Bleibe… der wurde hierher versetzt und will sich hier ein Haus kaufen, aber in Ruhe auswählen und nichts überstürzen. Deshalb hat er Eric gefragt, wo er hier irgendwo befristet für zwei oder drei Monate ein Appartement oder eine Wohnung mieten könne, bis er ein passendes Haus gefunden hat. Ja - da hat unser praktisch denkender Eric natürlich sofort geschaltet *lach*… wir müssen ja nach Texas, Ben und Eric sollen auf unsere Wohnung aufpassen (das war vorher schon so abgemacht), also könnten sie doch eigentlich auch bei uns wohnen und ihre eigene Wohnung untervermieten. Gut für sie, weil sie dadurch zusätzliche Einnahmen haben, bis Ben wie der einen Job hat - gut für den Kollegen, der eine vorübergehende Bleibe hat, die sogar groß genug ist, dass seine Frau sofort nachkommen kann - na, und für uns ist es ja auch ok, unsere Wohnung steht dann nicht leer, so lange wir weg sind, und wenn wir zurückkommen, fliegen wir entweder nach Deutschland (wenn mit Chris alles ok ist) oder wir sind halt noch eine Weile zu viert in unserer Wohnung. Hat ja letztes Mal auch gut geklappt.
Datum: 30.11.2008
Dieses Jahr haben wir wieder bei Elly und Ken Thanksgiving gefeiert, und es war mal wieder richtig schön. Ich mag dieses Fest. Jeder feiert mit Familie und Freunden, es heißt ja, dass an Thanksgiving niemand allein daheim sitzen soll... also lädt man zur Not auch noch die allein stehende Nachbarin mit ein, wenn sie sonst niemanden hat. Ein schöner Brauch!
Und es war echt ein schöner Abend. Außer uns waren noch Miss Eliza und Kens Eltern da, einer von Kens Brüdern und noch eine Freundin von Elly mit ihrer Familie. Zum Essen gab's natürlich den traditionellen Truthahn *smile* - da hat ja angeblich jede Köchin ihr eigenes Geheimrezept, wie er gewürzt und zubereitet wird. Elly füllt ihn mit einer Farce aus Hackfleisch, Semmelbröseln und Maronen (den Rest verrät sie nicht).Vorweg gab es Kürbissuppe, und zum Truthahn Cranberry-Sauce, Kartoffeln (diese kleinen Süßkartoffeln), Maronenpüree, Bohnengemüse, Kürbispastete und hinterher noch Kuchen und Eis. Ganz traditionell also. Naja, und für die Kids gab's es außerdem noch Pommes *smile*.
Chris bevorstehende OP war natürlich auch ein Thema an dem Abend. Chris selbst hat damit angefangen. Er meinte, er wäre froh, wenn wir schon nächstes Jahr um diese Zeit hier alle wieder zusammen säßen, und als Elly daraufhin aufgestanden ist und ihn umarmt hat, haben die anderen natürlich gefragt, was denn los ist. Es ist komisch… jeder kennt anscheinend jemanden, der oder die eine Kopf-OP bereits hinter sich und gut überstanden hat. Irgendwie sollte uns das ja schon Hoffnung machen.
An diese Frau aus dem Wartezimmer und ihren kranken Mann habe ich auch noch eine ganze Weile denken müssen. Aber immerhin hat mir der Arzt ja versichert, dass sie niemanden einfach wegschicken, wenn sie ihn eventuell heilen könnten (er meinte wörtlich, auch für amerikanische Ärzte gelte schließlich der hippokratische Eid *räusper*). Es gibt hier für solche Fälle auch finanzielle Unterstützung, die meisten Staaten und Städte haben solche Programme - aber dass die Patienten zunächst mal ihr eigenes Geld aufbrauchen müssen, kann man da ja irgendwie auch verstehen. Ich würde mich notfalls auch bis über beide Ohren verschulden, wenn davon Chris Gesundheit oder sogar sein Leben abhinge. Naja… es heißt ja, man sieht sich immer zweimal - vielleicht werde ich irgendwann erfahren, was aus der Frau bzw. ihrem Mann wurde.
Die Sache mit den Rechnungen habe ich auch geklärt *smile*. Ich habe unseren Doc danach gefragt, und der sagte, er sei zwar nicht für Abrechnungen zuständig, aber wenn wir bisher noch keine einzige Rechnung erhalten hätten, hätte sie mit Sicherheit jemand anders bekommen. Er hat das dann überprüfen lassen - und ich hatte natürlich Recht mit meiner Vermutung! Sie sind alle an Gladys gegangen.
Der Doc (der ja Gladys auch persönlich kennt) meinte dazu: "Danny - lasst sie das doch ruhig tun. Wenn meine Tochter Krebs hätte, würde ich für sie auch die besten Ärzte zusammentrommeln und die Kosten dafür tragen wollen - selbst wenn ihr Ehemann ein Millionär wäre. Eltern wollen doch auch etwas tun, um zu helfen. Der Ehemann oder Partner hilft ja schon durch sein Dasein… trösten, Mut zusprechen, beim Einschlafen fest in den Arm nehmen und das alles. Chris Mum hat jetzt das gute Gefühl, dass sie auch etwas für ihren Sohn tut. Und es stürzt sie ja nicht in den finanziellen Ruin, soweit ich weiß, also lasst es gut sein."
Chris hat zu dem Thema übrigens gar nicht viel gesagt… er meinte nur: "Das ist typisch Mum, aber was soll ich dagegen machen? Ihr sagen, dass ich ihre Unterstützung nicht will? Das würde sie verletzen." Nein, das wäre auch das Letzte, was ich wollte!
Gladys wird übrigens auch nach Texas kommen, zwar nicht gleich morgen, aber ein paar Tage später. Und sie hat mich gefragt, ob das ok ist oder ob sie nervt. Mich! Ihr einziger Sohn hat eine schwere OP vor sich, und da fragt sie mich erst mal, ob es ok ist, wenn sie zu ihm kommt! Unglaublich, diese Frau! (Und natürlich ist es ok für mich, dass sie kommt!)
Unser Halloween-Gig ist sehr gut gelaufen. Chris hatte mir ja vorher versprechen müssen, dass er sofort Schluss macht, wenn er merkt, dass er es nicht packt - aber es lief super, er war so richtig in seinem Element und hat jede Sekunde auf der Bühne genossen. Nur das "Rahmenprogramm" (anschließende Sauferei mit Fans und Kollegen *grins*) haben wir ziemlich reduziert, da war er doch ganz schön ko. Aber es war gut so - er braucht das einfach zwischendurch.
Bestrahlungen hatte er mittlerweile 10 Stück - zwei hat er also noch vor sich. Danach wird er dann eine oder zwei Wochen Ruhe haben, und erst dann wollen die Ärzte untersuchen, ob sich Veränderungen ergeben haben. Dieser Zeitraum sei wichtig, weil die Bestrahlungen noch eine Weile nachwirken, sagen sie. Und dann folgt die OP… die findet aber nicht hier statt, sondern in der Privatklinik des einen Professors, das heißt, dann müssen wir umsiedeln, und zwar in die Nähe von Houston/Texas. Das klingt für mich ganz komisch - irgendwie hab ich von Texanern alle möglichen Vorstellungen, nur nicht, dass sie führend bei Krebs-OPs sind. Wobei dieser Doc allerdings selbst schon eine beeindruckende Persönlichkeit ist und zudem sehr erfahren - man fühlt sich schon gut aufgehoben bei ihm. Warten wir's ab… ich wünschte, wir hätten das alles schon hinter uns *seufz*.
Wir versuchen, uns im Moment nicht zu sehr verrückt zu machen mit der Frage, ob und wie die Bestrahlungen wirken. Man sucht ganz automatisch nach jedem winzigen Hinweis ("dieses Mal waren die Kopfschmerzen stärker/weniger stark, das ist bestimmt gut"… "in den letzen Tagen ist mir kein einziges Mal schwindelig geworden, das muss doch ein gutes Zeichen sein"… usw) - aber das sollten wir nicht tun. Ich habe unserem Arzt diese Fragen auch gestellt, und der meinte nur "ja, das kann alles ein gutes Zeichen sein, aber auch genau das Gegenteil. Wir müssen abwarten, alles andere hilft nichts. Lasst es auf euch zukommen." Bleibt uns wohl nichts anderes übrig.
Aber dafür können wir morgen wieder auftreten *freu*… in unserem Lieblingsclub hier in Nashville. Oh Mann, das ist so schön! Chris freut sich wie blöd *lach*… und ich freu mich auch!
Datum: 20.11.2008
Der Auftritt in unserem Lieblingsclub am letzten Wochenende war sehr gut… es war tolle Stimmung und hat super Spaß gemacht. Aber anschließend ist Chris hinter der Bühne fast zusammengeklappt *seufz* - er war fix und fertig! Die Bestrahlungen schwächen den Körper, das sollte man nicht unterschätzen. Aber der Doc meinte ja vorher, Chris könne es ruhig versuchen, wenn er Lust dazu hätte - er würde schon von allein merken, ob es ihm bekommt, und schlimmer machen könnte er damit auch nichts. Naja - dass er hinterher ko sein wird, wussten wir im Grunde genommen vorher schon.
Er wird ja jetzt generell leicht müde, bei allem, was er macht, aber er will deswegen trotzdem nicht auf alles verzichten, sondern so "normal" wie möglich weiterleben. Ich kann ihn da gut verstehen, mir würde es genauso gehen. Wir sind halt Musiker und brauchen dieses Gefühl, auf der Bühne zu stehen - und auch, wenn es Chris müde und fertig macht, so gibt es ihm auch gleichzeitig Kraft, denn er vergisst dann für eine Weile seine Krankheit.
Es wird allmählich ernst, heute ist die letzte Bestrahlung, hoffentlich hat es was gebracht! Ich schätze, dass wir Anfang Dezember nach Texas ziehen.
Datum: 28.11.2008
Am 1. Dezember geht es jetzt endgültig bei uns los, da siedeln wir nach Texas über. Ich hab richtig Bauchweh, wenn ich daran denke - aber es hilft nichts, da müssen wir jetzt durch!
Letzte Woche, als Chris seine Bestrahlung hatte, habe ich noch etwas erlebt, was mich ziemlich erschreckt und nachdenklich gemacht hat. Ich habe immer auf ihn in so einer Art Aufenthaltsraum gewartet, dort kann man was lesen, es gibt Kaffee, Tee und kalte Getränke - halt ein Wartezimmer. Und da kam, als ich gerade da saß, eine Frau rein, so etwa in meinem Alter… setzte sich hin, guckte irgendwo ins Leere, und die Tränen liefen ihr nur so übers Gesicht. Mich hat sie, glaube ich, gar nicht registriert. Naja - sie tat mir leid, ich hab mich dann nach zwei oder drei Minuten neben sie gesetzt und "ist es so schlimm?" gefragt (ja, absolut unamerikanisch, ich weiß *g*). Sie war auch überrascht, aber dann hat sie erzählt… dass Brian, ihr Ehemann, einen Gehirntumor hat und heute die letzte Bestrahlung bekommt, und dass sie jetzt nur noch beten können, dass der Tumor dadurch weggegangen ist *seufz*. Ich hab ihr gesagt, dass mein Freund auch einen Tumor hat und insgesamt zwölf Bestrahlungen bekommt und dann operiert wird, und wie viele Bestrahlungen ihr Ehemann denn bekommen hat - da sagte sie "vier". Und als ich gefragt hab "wie, nur vier Stück? Und keine OP?", hat sie wieder geheult und gemeint, mehr als vier Bestrahlungen könnten sie halt nicht bezahlen und eine OP schon gar nicht, also könnten sie nur beten, dass vier Stück ausreichen, um den Tumor abzutöten. Ein bisschen Geld müssten sie ja noch zurückbehalten für die Ausbildung ihrer Kinder (3 Söhne), habe Brian gesagt, aber das würde auch maximal für eine oder zwei weitere Bestrahlungen reichen. Mir ist ganz komisch geworden - kein Geld, keine Krankenversicherung, also Pech gehabt, oder wie? Ein Mann Mitte Dreißig - mit Frau und drei Söhnen! Ich wusste gar nicht, was ich darauf antworten sollte, aber die Frau wurde dann auch gerufen und musste weg.
Ich hab hinterher dann mal den einen der Ärzte gefragt, was in so einem Fall passiert… und er meinte, sie hätten bisher noch nie einen Krebspatient, der vielleicht geheilt werden könnte, einfach so weggeschickt, aber sie müssten halt auch rentabel und gewinnbringend arbeiten, sonst gäbe es dieses Krebscenter nicht mehr lange. Vermutlich würde der behandelnde Arzt dieser Frau und ihrem Ehemann erst mal dringend nahe legen, all ihre Ersparnisse aufzubrauchen - wenn Hubby überleben würde, könne er ja wieder neues Geld verdienen und für die Ausbildung der Kids sparen. Und dann müssten sie halt noch die ganze Familie und Verwandtschaft abklappern und so viel Geld wie möglich auftreiben für Bestrahlungen und OP. Das Center selbst würde auch, wenn nötig, Kredite vermitteln - und außerdem gäbe es staatliche Stellen, wo man Unterstützung beantragen könnte, das würde man der Frau hier alles erklären.
Ich war irgendwie geschockt, und er meinte dann: "Du bist Ausländer, nicht wahr - Deutscher? Ok, ihr habt ein anderes Krankensystem, ich weiß… aber auch bei euch wird nicht alles von euren Kassen bezahlt, auch da ist es manchmal eine Frage des Geldes." Damit hat er ja nicht mal Unrecht *seufz*.
Und bei der Gelegenheit ist mir dann auch noch aufgefallen, dass wir seit dem Beginn von Chris' Behandlung noch keine einzige Arztrechnung bekommen haben. Ich hab den starken Verdacht, dass Gladys das veranlasst hat… wahrscheinlich kriegt (und bezahlt) sie die Rechnungen. Das würde zu ihr passen… aber was soll ich dazu sagen? Sie bräuchte das nicht zu tun - aber bestimmt fühlt sie sich besser, wenn sie auf diese Art "helfen" kann. Ich muss sie unbedingt mal danach fragen *kopfschüttel*.
Im Moment geht es Chris gerade ganz gut, er hat jetzt, wo die Bestrahlungen vorbei sind, so gut wie keine Beschwerden. Das letzte Wochenende haben wir mit Eric und Ben verbracht. Erics Mum war für ein paar Tage zu Besuch, sie wollte mal sehen, wie "ihre Jungs" (so sagt sie, genau wie Gladys bei uns immer sagt *smile*) jetzt wohnen. Und nachdem sie deren Wohnung gesehen hat und anschließend unsere, meinte sie, ab sofort würde sie sich nicht mehr trauen, einen von uns in ihre "Bauernhütte" einzuladen… das war aber nur Spaß, es hat ihr alles sehr gut gefallen.
Über Chrissys Erkrankung war sie sehr traurig… sie hat gesagt, wenn wir alles hinter uns hätten, sollten wir einen schönen Erholungsurlaub bei ihnen in den Bergen von Minnesota machen, die Luft würde uns gut tun, und sie würde Chris dann wieder "aufpäppeln". Hm - dabei sieht er im Moment wirklich nicht danach aus, als ob er das bräuchte… dadurch, dass er keinen Sport mehr macht, hat er zugenommen *fg*. Aber es ist doch schön, für die anschließende Erholung haben wir schon einige Angebote *lach*… wir können hinterher nach Deutschland, nach Florida, nach Montana und jetzt auch noch nach Minnesota. Fehlt nur noch, dass uns Johnnys Schwester nach Australien einlädt! ;-)
Demnächst werden wir übrigens mit Ben und Eric wieder eine WG machen *smile*. Die beiden haben im Moment ein bisschen finanzielle Probleme - Ben hat seinen Job verloren (er ist/war Vermögensberater, das habe ich, glaube ich, schon mal erwähnt), und Eric verdient nicht sehr viel, so dass es bei den beiden eng wird mit der Miete für die Wohnung. Und wie der Zufall es will, sucht ein Kollege von Eric gerade eine vorübergehende Bleibe… der wurde hierher versetzt und will sich hier ein Haus kaufen, aber in Ruhe auswählen und nichts überstürzen. Deshalb hat er Eric gefragt, wo er hier irgendwo befristet für zwei oder drei Monate ein Appartement oder eine Wohnung mieten könne, bis er ein passendes Haus gefunden hat. Ja - da hat unser praktisch denkender Eric natürlich sofort geschaltet *lach*… wir müssen ja nach Texas, Ben und Eric sollen auf unsere Wohnung aufpassen (das war vorher schon so abgemacht), also könnten sie doch eigentlich auch bei uns wohnen und ihre eigene Wohnung untervermieten. Gut für sie, weil sie dadurch zusätzliche Einnahmen haben, bis Ben wie der einen Job hat - gut für den Kollegen, der eine vorübergehende Bleibe hat, die sogar groß genug ist, dass seine Frau sofort nachkommen kann - na, und für uns ist es ja auch ok, unsere Wohnung steht dann nicht leer, so lange wir weg sind, und wenn wir zurückkommen, fliegen wir entweder nach Deutschland (wenn mit Chris alles ok ist) oder wir sind halt noch eine Weile zu viert in unserer Wohnung. Hat ja letztes Mal auch gut geklappt.
Datum: 30.11.2008
Dieses Jahr haben wir wieder bei Elly und Ken Thanksgiving gefeiert, und es war mal wieder richtig schön. Ich mag dieses Fest. Jeder feiert mit Familie und Freunden, es heißt ja, dass an Thanksgiving niemand allein daheim sitzen soll... also lädt man zur Not auch noch die allein stehende Nachbarin mit ein, wenn sie sonst niemanden hat. Ein schöner Brauch!
Und es war echt ein schöner Abend. Außer uns waren noch Miss Eliza und Kens Eltern da, einer von Kens Brüdern und noch eine Freundin von Elly mit ihrer Familie. Zum Essen gab's natürlich den traditionellen Truthahn *smile* - da hat ja angeblich jede Köchin ihr eigenes Geheimrezept, wie er gewürzt und zubereitet wird. Elly füllt ihn mit einer Farce aus Hackfleisch, Semmelbröseln und Maronen (den Rest verrät sie nicht).Vorweg gab es Kürbissuppe, und zum Truthahn Cranberry-Sauce, Kartoffeln (diese kleinen Süßkartoffeln), Maronenpüree, Bohnengemüse, Kürbispastete und hinterher noch Kuchen und Eis. Ganz traditionell also. Naja, und für die Kids gab's es außerdem noch Pommes *smile*.
Chris bevorstehende OP war natürlich auch ein Thema an dem Abend. Chris selbst hat damit angefangen. Er meinte, er wäre froh, wenn wir schon nächstes Jahr um diese Zeit hier alle wieder zusammen säßen, und als Elly daraufhin aufgestanden ist und ihn umarmt hat, haben die anderen natürlich gefragt, was denn los ist. Es ist komisch… jeder kennt anscheinend jemanden, der oder die eine Kopf-OP bereits hinter sich und gut überstanden hat. Irgendwie sollte uns das ja schon Hoffnung machen.
An diese Frau aus dem Wartezimmer und ihren kranken Mann habe ich auch noch eine ganze Weile denken müssen. Aber immerhin hat mir der Arzt ja versichert, dass sie niemanden einfach wegschicken, wenn sie ihn eventuell heilen könnten (er meinte wörtlich, auch für amerikanische Ärzte gelte schließlich der hippokratische Eid *räusper*). Es gibt hier für solche Fälle auch finanzielle Unterstützung, die meisten Staaten und Städte haben solche Programme - aber dass die Patienten zunächst mal ihr eigenes Geld aufbrauchen müssen, kann man da ja irgendwie auch verstehen. Ich würde mich notfalls auch bis über beide Ohren verschulden, wenn davon Chris Gesundheit oder sogar sein Leben abhinge. Naja… es heißt ja, man sieht sich immer zweimal - vielleicht werde ich irgendwann erfahren, was aus der Frau bzw. ihrem Mann wurde.
Die Sache mit den Rechnungen habe ich auch geklärt *smile*. Ich habe unseren Doc danach gefragt, und der sagte, er sei zwar nicht für Abrechnungen zuständig, aber wenn wir bisher noch keine einzige Rechnung erhalten hätten, hätte sie mit Sicherheit jemand anders bekommen. Er hat das dann überprüfen lassen - und ich hatte natürlich Recht mit meiner Vermutung! Sie sind alle an Gladys gegangen.
Der Doc (der ja Gladys auch persönlich kennt) meinte dazu: "Danny - lasst sie das doch ruhig tun. Wenn meine Tochter Krebs hätte, würde ich für sie auch die besten Ärzte zusammentrommeln und die Kosten dafür tragen wollen - selbst wenn ihr Ehemann ein Millionär wäre. Eltern wollen doch auch etwas tun, um zu helfen. Der Ehemann oder Partner hilft ja schon durch sein Dasein… trösten, Mut zusprechen, beim Einschlafen fest in den Arm nehmen und das alles. Chris Mum hat jetzt das gute Gefühl, dass sie auch etwas für ihren Sohn tut. Und es stürzt sie ja nicht in den finanziellen Ruin, soweit ich weiß, also lasst es gut sein."
Chris hat zu dem Thema übrigens gar nicht viel gesagt… er meinte nur: "Das ist typisch Mum, aber was soll ich dagegen machen? Ihr sagen, dass ich ihre Unterstützung nicht will? Das würde sie verletzen." Nein, das wäre auch das Letzte, was ich wollte!
Gladys wird übrigens auch nach Texas kommen, zwar nicht gleich morgen, aber ein paar Tage später. Und sie hat mich gefragt, ob das ok ist oder ob sie nervt. Mich! Ihr einziger Sohn hat eine schwere OP vor sich, und da fragt sie mich erst mal, ob es ok ist, wenn sie zu ihm kommt! Unglaublich, diese Frau! (Und natürlich ist es ok für mich, dass sie kommt!)
Galahad - 9. Jan, 21:27